Fiktive Abrechnung nach einem Gutachten – empfehlenswert oder nicht?
Eine fiktive Abrechnung wird nach dem Gutachten eines Sachverständigen oder nach Kostenvoranschlag der Werkstatt erstellt, um einen Unfallschaden von einer Versicherung erstatten zu lassen, ohne ihn zuvor repariert zu haben.
Wieso macht man eine fiktive Abrechnung?
Es gibt verschiedene Gründe, weswegen man bei einem Unfallschaden eine fiktive Abrechnung macht.
- Der Fahrzeughalter möchte den Wagen nicht reparieren lassen.
- Der Fahrzeughalter möchte das Auto selbst reparieren.
- Der Fahrzeughalter möchte den Wagen in einer anderen Werkstatt kostengünstiger reparieren lassen.
Der Vorteil für den Geschädigten ist der finanzielle Gewinn durch die Auszahlung der Versicherungssumme, wodurch die fiktive Abrechnung sehr attraktiv klingt.
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Wie funktioniert eine fiktive Abrechnung?
Bei einem Unfallschaden kann man eine fiktive Abrechnung bei der Versicherung einreichen, um anfallende Reparaturkosten erstattet zu bekommen. Die fiktive Abrechnung basiert auf dem Gutachten eines Sachverständigen, der die anfallenden Kosten im Rahmen einer Reparatur schätzt. Dazu zählen u.a.:
- Reparaturkosten
- Wertminderung
- Stundenlohn der Werkstatt
- Nutzungsausfall
Reicht man eine fiktive Abrechnung bei der Versicherung ein, erstellt diese ein Prüfgutachten. So ermittelt sie den Betrag, der dem Geschädigten nach Ansicht der Versicherung zusteht. Diese Summe ist üblicherweise geringer als die der fiktiven Abrechnung, denn während der Sachverständige die Kosten für eine Fachwerkstatt und damit eine möglichst hohe Erstattung ansetzt, ist die Versicherung meist darauf bedacht, die günstigste Lösung zu finden, und verweist dabei auf billigere Werkstätten.
Der Unterschied zu einer konkreten Abrechnung: Bei einer fiktiven Abrechnung liegt keine reale Rechnung vor, die eine tatsächlich durchgeführte Reparatur belegt. Der Geschädigte kann sein Fahrzeug reparieren lassen – auch in einer günstigeren Werkstatt –, oder er nutzt das Auto fortan im beschädigten Zustand.
Die fiktive Abrechnung – früher und heute
Bis in die 90er-Jahre war es sehr lukrativ, einen Schaden fiktiv abzurechnen, doch das hat sich mittlerweile geändert, weil die Versicherungen heutzutage beständig versuchen, den geltend gemachten Schaden zu kürzen.
Damals haben Versicherungen oftmals alle Beträge einer fiktiven Abrechnung ohne Abzüge gezahlt. Es war üblich, Reparaturen günstig oder gar nicht ausführen zu lassen und trotzdem den Maximalbetrag von der Versicherung zu erhalten. So haben Versicherungsnehmer bei einem Unfallschaden mit einer fiktiven Abrechnung nach einem Gutachten sogar noch Gewinn gemacht.
Versicherungen erstellen heute eigene Prüfgutachten
Seit 2002 wird die Mehrwertsteuer nur noch gezahlt, wenn eine Rechnung vorliegt. Dadurch verringert sich die Versicherungssumme einer fiktiven Abrechnung um 19 Prozent. Für viele Menschen war es trotzdem lukrativ, einen Unfallschaden fiktiv abzurechnen.
Heutzutage ist das anders. Dadurch, dass bei fiktiven Abrechnungen regelmäßig höhere Versicherungsgelder als tatsächlich erforderlich ausgezahlt wurden, hat die Versicherungswirtschaft begonnen, genauer hinzusehen. Fiktive Abrechnungen nach Gutachten werden durch eigene Gutachten geprüft. Durch zahlreiche Abzüge verringert sich die finale Versicherungssumme für den Geschädigten immens.
Wie viel zahlt die Versicherung bei einer fiktiven Abrechnung für einen Unfallschaden?
Wie viel eine Versicherung für einen Unfallschaden zahlt, hängt vom Einzelfall ab. Fakt ist jedoch: Die fiktive Abrechnung bei einem Unfallschaden ist heutzutage deutlich weniger lukrativ als vor über 20 Jahren. Grund dafür sind Abzüge durch die Versicherung.
Häufige Abzüge durch Versicherungen
- Mehrwertsteuer
- Versicherungen berechnen ausschließlich Nettobeträge, solange keine konkrete Rechnung vorliegt. Das mindert die Versicherungssumme einer fiktiven Abrechnung.
- Stundenlöhne
- Gutachter berechnen die Stundenlöhne von Fachwerkstätten, um eine bestmögliche Reparatur zu ermöglichen. Versicherungen setzen hingegen die oft deutlich niedrigeren Stundensätze freier Werkstätten an. Diese sind zwar auch qualifizierte Meisterbetriebe, verfügen aber meist nicht über das bessere technische Equipment von Fachwerkstätten.
- Verbringungskosten
- Verbringungskosten sind die Transportkosten durch einen Abschleppdienst, wenn das reparierte Auto von der Werkstatt zur Lackiererei gebracht wird. Diese Summe ziehen Versicherungen meist ab, obwohl fast keine Werkstatt über eine eigene Lackiererei verfügt und die Verbringung notwendig ist.
- UPE-Aufschläge
- Das sind Preisaufschläge auf Ersatzteile. Werkstätten verkaufen die Ersatzteile nicht zum Einkaufspreis – also der unverbindlichen Preisempfehlung (UPE) des Herstellers –, sondern wollen ebenfalls Gewinn machen. Versicherungen berücksichtigen lediglich den Einkaufspreis.
- Technische Abzüge
- Sind bestimmte Arbeitsschritte bei einer Reparatur nicht zwingend erforderlich, erfolgen im Gutachten der Versicherung technische Abzüge. Dies geschieht auch, wenn nicht unbedingt ein neues Teil eingesetzt werden muss, sondern auch eine Reparatur genügt.
Durch solche Abzüge verringert sich die potenzielle Kostenerstattung des Unfallschadens erheblich, sodass eine fiktive Abrechnung kaum noch lukrativ ist.
Beispielrechnung einer fiktiven Abrechnung mit Abzügen
Wann ist eine fiktive Abrechnung sinnvoll?
Falls Sie Ihr Fahrzeug nicht sofort reparieren lassen müssen und Ihnen das nötige Geld fehlt, kann sich eine fiktive Abrechnung lohnen. Das Versicherungsgeld können Sie als Anzahlung für die Reparatur nutzen und im Anschluss die reale Rechnung der Werkstatt über die ordentliche Reparatur ebenfalls bei der Versicherung einreichen, sofern die realen Reparaturkosten den Betrag der fiktiven Abrechnung übersteigen. Die Versicherung zahlt Ihnen die Differenz nachträglich bei Rechnungsvorlage aus.
Das sollten Sie wissen: Gefahren einer fiktiven Abrechnung nach Gutachten
Seit 2020 gibt es die so genannte HIS-Tabelle, in der alle in Deutschland registrierten Verkehrsunfälle eingetragen werden. Angenommen, ein Fahrer hatte im Jahr 2018 einen Auffahrunfall mit Heckschaden und hat ihn fiktiv abgerechnet, aber nicht reparieren lassen, um einen finanziellen Gewinn zu machen. Vier Jahre später hat der Fahrer mit demselben Auto erneut einen Auffahrunfall – ebenfalls mit einem Heckschaden, den er diesmal reparieren lässt – und reicht die reale Werkstatt-Rechnung bei der Versicherung ein.
Die Versicherung sieht nun in der HIS-Tabelle den Unfallschaden aus 2018 und fordert vom Halter einen Beweis, dass er diesen Schaden damals hat reparieren lassen. Denn womöglich verursacht er gerade, der Versicherung den alten Schaden als neuen Schaden unterzujubeln. Da der Halter 2018 fiktiv abgerechnet hat, fehlt ihm eine reale Rechnung, um die Reparatur zu belegen bzw. zu beweisen, dass der jetzige Schaden tatsächlich neu ist.
Das kann dazu führen, dass die Versicherung diesen Schadensfall nicht reguliert und der Fahrzeughalter komplett leer ausgeht, obwohl er das Anrecht auf eine Erstattung hätte.
Gleiches gilt übrigens, wenn der Halter seinen Wagen mit Vorschaden weiterverkauft und der neue Besitzer einen Schaden in demselben Bereich hat. Hat der Vorbesitzer wegen einer fiktiven Abrechnung keinen Beleg über eine ordentliche Reparatur, erhält der neue Besitzer womöglich keine Erstattung von der Versicherung.
Wann sollte man einen Rechtsanwalt hinzuziehen?
Die Unterstützung eines erfahrenen Rechtsanwaltes ist bei einer fiktiven Abrechnung immer zu empfehlen, um sich gegen die Versicherung durchzusetzen. Denn nur ein versierter Fachanwalt für Verkehrsrecht kann auf Augenhöhe mit der Versicherung verhandeln. Hinzu kommt, dass ein kompetenter Anwalt Ihnen die lästige und rechtlich schwierige Arbeit im Falle einer fiktiven Abrechnung abnimmt. Auf diese Weise sind Sie juristisch bestens beraten und müssen sich dabei um nichts kümmern. Übrigens: Bei klarer Haftung muss die Versicherung die Anwaltskosten übernehmen. Gerne stehen wir Ihnen als rechtlicher Beistand zur Seite. Die Fachanwälte für Verkehrsrecht der Kanzlei Fenderl & Dietrich unterstützen Sie mit ihrer Expertise. Nehmen Sie jetzt Kontakt auf!
Fazit zur fiktiven Abrechnung nach Gutachten
Die fiktive Abrechnung nach Gutachten war früher gängige Praxis und für den Geschädigten sehr lukrativ – heute lohnt sie sich kaum noch. Die Empfehlung von Fachanwalt für Versicherungsrecht Günter Fenderl lautet: Lassen Sie Ihren Unfallschaden in einer Fachwerkstatt reparieren und reichen Sie bei der Versicherung diese Rechnung über eine ordentliche Reparatur ein. So erhalten Sie den Service inkl. technisch meist besserem Equipment und können sich die Kosten komplett erstatten lassen. Für eine individuelle Beratung stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihre Anfrage!